Früher gab es für Schönschrift noch Noten. Heute zweifeln viele, ob Schreiben mit der Hand noch zeitgemäß ist. Auch wenn sie der Handschrift unterschiedlich Gewicht geben, halten viele Experten das Schreiben mit der Hand für wichtig. Wir sagen warum.
Handschrift – Zusammenspiel von Kopf und Hand
30 Muskeln, 17 Gelenke und 12 Hirnareale: Dieses faszinierende Zusammenspiel ermöglicht unsere Handschrift. Die Stiftung Handschrift wirbt für Handgeschriebenes. Aber ist das wirklich noch zeitgemäß?
Im Alltag schreiben wir kaum noch mit der Hand – höchstens mal einen Einkaufszettel oder ein Post-it, um uns an Wichtiges zu erinnern. Wir tippen E-Mails oder kommunizieren per WhatsApp. Vor allem Jüngere verzichten sogar ganz auf die Tipperei und schicken sich lieber Sprachnachrichten aufs Handy. Warum hat die Handschrift in der Schule dennoch so einen hohen Stellenwert?
Schreiben ist Kultur
Michael Becker-Mrotzek, Bildungsforscher und Direktor des Mercator-Instituts erklärt das so: „Durch das Schreiben mit der Hand sieht man, wie der einzelne Buchstabe entsteht. Dadurch werden mehr neuronale Netze aktiviert als durch das Tippen auf einer Tastatur. Die Formen der Buchstaben prägen sich somit durch die Handschrift besser ein. Während das Schreiben mit der Tastatur einfacher funktioniert, weil der Schreibende nur eine Taste drücken muss, ist das Schreiben per Hand nachhaltiger für den Schrifterwerb. Und es gibt noch einen ganz entscheidenden Vorteil: Für das Schreiben per Hand werden kaum technische Hilfsmittel benötigt. Es ist praktisch überall möglich, sei es mit dem Stock im Sand oder mit dem Stift auf einem Bierdeckel. Deshalb werden wir in absehbarer Zeit die Handschrift im Alltag weiterhin benötigen.“
Kinder profitieren vom Handschreiben
Besonders Kinder profitieren, wenn sie mit der Hand schreiben lernen. Die Psychologin Prof. Karin James ließ Vorschulkinder, die noch nicht schreiben und lesen konnten, Buchstaben abmalen. Sie sollten sie entweder anhand einer gepunkteten Linie nachzeichnen, freihändig abmalen oder auf einer Tastatur tippen. Das Ergebnis: Die Kinder, die Buchstaben frei nachzeichneten, zeigten messbare Aktivitäten in den Hirnbereichen, die auch bei Erwachsenen aktiv sind, wenn sie lesen und schreiben. Wenn die Kinder die Punkte nur miteinander verbanden oder tippten, gab es keine messbaren Hirnaktivitäten.
Schreibschrift oder Druckschrift?
Bleibt noch die Glaubensfrage: Erst Schreibschrift oder Druckschrift? Auf diese Frage gibt es keine endgültige Antwort. Aktuell lernen Kinder je nach Bundesland als erste Schrift entweder Schreib- oder Druckschrift. Fachleute sprechen dabei von verbundener und unverbundener Schrift. Die Meinungen der Wissenschaftler, welche Schrift besser geeignet ist, gehen auseinander. Die Sprachwissenschaftlerin Professor Ursula Bredel von der Universität Hildesheim sieht durchaus Indizien dafür, dass das Erlernen einer verbundenen Handschrift positive Auswirkungen auf die Sprach- und Rechtschreibkompetenz von Kindern hat.
Didaktiker der Universität Siegen plädieren für die sogenannte Schulausgangsschrift und haben dazu sogar eine Online-Petitiongestartet. Bei dieser Schrift sind einzelne Buchstaben miteinander verbunden. Eine solche Schrift fördere die Feinmotorik, die Koordination und die Schnelligkeit, sagen die Befürworter. Ein weiteres Argument: Wer erst Druckschrift lerne, tue sich hinterher mit der Schreibschrift schwer.Druckschrift dagegen macht das Lesen leichter.
Andere Bildungsforscherinnen und -forscher argumentieren, dass es schwerer sei, schreiben zu lernen, wenn man die Buchstaben miteinander verbinden müsse. Außerdem gebe es sowieso kein konsequent verbundenes Schreiben, da man zwischendurch immer die Hand absetzen müsse. Die Schrift wirke nur so, als seien die Buchstaben miteinander verbunden. Druckschrift sei zudem einfacher zu lesen. Und weil Lesen und Schreiben lernen eng zusammenhingen, sei es sinnvoll, als erste Schrift eine Druckschrift zu lernen.
Ein Aushängeschild: Die individuelle Handschrift.
Eins ist jedoch klar. Es gibt Bereiche, da ist eine individuelle Handschriftwesentlicher Teil der Botschaft, zum Beispiel beim Liebesbrief. „Es ist der schwierigste und vielleicht auch der wichtigste Text, den du in deinem Leben verfassen wirst. Er hat nämlich das Potential, dein Leben für immer zu verändern“, heißt es bei einem Anbieter für Liebesbrief-Schreibkurse. Und tatsächlich, es ist wohl kaum anzunehmen, dass dieseLiebesbriefe in Druckschrift geschrieben worden wären.
Aber auch im Geschäftsleben hat der handgeschriebene Brief Bedeutung. Und eine individuelle Handschrift erlernt man erst über mehrere Jahre.
Für Frank Appel, Chef von 547.000 Mitarbeitern der Deutschen Post, ist der handgeschriebene Brief ein wichtiges Mittel der Personalführung. Den 100 wichtigsten Führungskräften schreibt er regelmäßig persönliche Briefe, um ihre Leistung anzuerkennen, sagte er in der Wirtschaftswoche. Appel: „Ein handgeschriebener Brief hat unglaubliche Auswirkungen. Führungskräfte, das bekomme ich häufig zurückgespielt, fühlen sich dann immer geehrt.“
Für Schreibfaule gibt es mittlerweile sogar einen Computer, der eine individuelle Handschrift speichern und anschließend mit einem Füller täuschend echt nachahmen kann.