Deutschlands Schulen haben in der Corona-Krise wo immer es ging den online-Unterricht forciert. Und im neuen Schuljahr wird digitaler Unterricht mit Sicherheit mehr Raum einnehmen als bisher. Damit hat sich der Trend zum Lernen auf Tablet oder PC weiter beschleunigt.
Aber lernt man mit den digitalen Helfern wirklich besser als mit dem Schulbuch? 130 Leseforscher aus ganz Europa kommen zu dem Ergebnis: Nicht unbedingt.. Bildschirme und bedrucktes Papier haben beide Stärken und Schwächen.
Papier: Stark bei langen Texten
Die Forscher, die sich in der europäischen Forschungsinitiative E-READ(Evolution of Reading in the Age of Digitisation) zusammengeschlossen haben, kommen zu dem Schluss, dass Papier – und damit auch Bücher – weiterhin das bevorzugte Lesemedium für einzelne längere Texte bleiben werden, vor allem, wenn es um ein tieferes Verständnis und das Behalten geht. Die Forscher haben dazu die Ergebnisse von 54 Studien mit zusammen mehr als 170.000 Teilnehmern zusammengefasst.
Das Lesen langer Texte, so die Aussage ihrer 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten sog. Stavanger-Erklärung, ist von unschätzbarem Wert für eine ganze Reihe geistiger Leistungen. Dazu zählt die Konzentrationsfähigkeit, der Aufbau des Wortschatzes und das Gedächtnis.
Digitales muss auf den Leser zugeschnitten sein
Unbestritten haben auch die digitalen Medien ihre Stärken. Vorteile bei Verständnis und Motivation zeigen sich dort, wo die digitale Leseumgebung sorgfältig auf die jeweiligen Leser zugeschnitten wurde. Die elektronischen Angebote bereiten jedoch auch Probleme. „Leser neigen beim Lesen digitaler Texte eher zu übersteigertem Vertrauen in ihre Verständnisfähigkeiten als beim Lesen gedruckter Texte, vor allem, wenn sie unter Druck stehen“ sagen die Forscher. Man glaubt, etwas verstanden zu haben, ohne dass man das tatsächlich getan hat.
„Entgegen den Erwartungen zum Verhalten von „digital natives“ hat diese Unterlegenheit des Bildschirms gegenüber dem Papier in den vergangenen Jahren eher noch zu- als abgenommen“, heißt es in der Erklärung nüchtern.
Digitalisierung in der Grundschule muss sorgfältig vorbereitet werden
Die Wissenschaftler empfehlen Schulen und Schulbibliotheken die Schüler weiterhin zur Lektüre gedruckter Bücher zu motivieren und in den Lehrplänen entsprechend Zeit dafür vorzusehen. Vor allem im Primarbereich, also den Grundschulen, bleibe der wahllose Ersatz von Druckwerken, Papier und Stift durch digitale Technologien nicht folgenlos. Falls dieser Übergang nicht von sorgsam entwickelten digitalen Lerntools und Lerntechnologien begleitet ist, kann er zu einer Verzögerung in der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses und der Entwicklung kritischen Denkens führen.
Einen grundsätzlichen Vorteil von digitalen Vorlese Apps sehen die Wissenschaftler der Stiftung Lesen in der Möglichkeit, auch bildungsfernen Haushalte an das gemeinsame Lesen heranzuführen.
Vorlesen ist wichtig
Am 15. November findet der Bundesweite Vorlesetag statt. Alle Menschen in Deutschland sind aufgerufen, ein Zeichen für Bedeutung des Vorlesens zu setzen. Die Liste der Aktivitäten der Stiftung Lesen lässt sich noch weiter fortsetzen. Eins haben jedoch alle Aktionen gemeinsam. Sie sollen die Lust am (Vor-)Lesen steigern.
Warum dieser Einsatz? „Bildung und Chancengleichheit fangen mit Lesen an. Mit unserem Engagement für die Leseförderung möchten wir dafür sorgen, dass Geschichten zum Teil einer jeden Kindheit und Jugend werden. Denn wer gut lesen kann, hat im späteren Leben bessere Perspektiven im Beruf, für die eigene Gesundheit, sozialen Bindungen und die gesellschaftliche Integration“, so Franziska Hedrich von der Stiftung Lesen. Die von der Stiftung jährlich durchgeführten Vorlesestudien belegen, dass Eltern, die ihrem Nachwuchs jeden Tag vorlesen, nachhaltig in die Bildungschancen ihrer Kinder investieren. Denn: Das Vorlesen ist die Grundlage für eine gute Lesekompetenz – eine der zentralen Schlüsselqualifikationen unserer Gesellschaft und Voraussetzung für alles, was während und vor allem nach der Schule kommt.